Märchenerzählen – mein Beitrag für Familien zuhause

Märchenbücher aus aller Welt

Das Leben mit Ausgangsbeschränkung bedeutet für Manche eine Chance. Gerade für Familien sind es aber harte Zeiten. Warum das Märchenerzählen uns gerade jetzt helfen kann, uns die Zeit mehr als nur „zu vertreiben“, möchte ich in diesem Blogbeitrag zeigen. Zum Schluss findet ihr einen Link auf meine „Märchen for free“ – Märchentexte zum Gratis-Download!

Vor allem Familien mit Kleinkindern müssen momentan den Alltag hinter verschlossener Tür stemmen. Alle sollen bei Laune gehalten werden. Auch wir selbst! Wir wollen uns sinnvoll beschäftigen, doch wo bleibt der Spaß nach der zweite Woche Ausgangsbeschränkung? Es ist Zeit für die Familie UND höchste Zeit, dass wir auf den größten Schatz der Menschheit zurückgreifen – die Märchen.

Märchenerzählerin mit Buch in der Hand

Die Märchen sind das kollektive Gedächtnis der Völker. Und darüber hinaus sind die Geschichten von Helden, Tieren und Zauberwesen wahre Alleskönner. Doch wie erzählt man sie? Wie können Märchen heute noch spannend sein? Und wie machen sie Zuhörern und Erzählern gleichzeitig Spaß?

Warum Märchenerzählen zeitlos ist

Damit die Märchen, die ihr erzählt, nicht altbacken wirken, müsst ihr nicht viel berücksichtigen. Eher weniger ist mehr! Das „Zuviel“ sollte weglassen werden. Genau das macht auch ein traditioneller Märchenerzähler: Einfach erzählen! Zuviele Erklärungen, warum und wie, brauchen gute Märchen nicht. Einen Glitzermantel brauchen gute Märchenerzähler auch nicht. ACHTUNG: Manche Texte enthalten furchtbar langweilige, erhobene Zeigefinger. Braucht kein Kind! Weg damit! So einfach? Gut, es gibt andere wichtigere Dinge, die ihr als Märchenerzähler tatsächlich nutzen könnt. Ein wichtiges Zaubermittel, um spannend zu erzählen, heißt Empathie (Einfühlungsvermögen).

Nicht einfach drauflos erzählen!

Wie „früher“ sitzen wir im Kreis – um ein Feuer oder nicht – und fangen einfach an. Wie? Die Kinder wissen es! Das erlebe ich als Märchenerzählerin oft. Immer wieder fasziniert es mich, dass Kinder wissen, wie Märchen anfangen. Vor allem in Zeiten von Smartphone, Tablets und den schönen neuen elektronischen Spielewelten ist das beindruckend! Meist kräht der Chor der Zuhörer*innen – und darunter befinden sich auch Erwachsene (!) – mir die magischen Worte zu.

Es war einmal … Tipps zum empathischen Märchenerzählen

Es war einmal“, wiederholt ihr, nachdem euch der Chor der Zuhörer*innen diese magischen Worte zugerufen habt. Dann macht ihr eine schöpferische Pause und beginnt mit der Erzählung. Damit habt ihr euer Publikum auf eurer Seite. Sie dürfen mitmachen, das finden wir doch alle schön – oder? Also, was macht ihr weiter? Richtig: Lasst eure großen und kleinen Märchenfans mitmachen. Das freut auch die, vorher behaupten, dass sie keine Märchen mögen. Die gibt es auch oft. Die Märchenskeptiker, große und kleine. Lasst sie nicht außen vor! Ihr werdet sehen, sie werden im Verlauf eurer Erzählung zu Märchenfans!

Von denen, die erst keine Märchen hören wollten und dann doch …

Ich habe es selbst erlebt, wie zwei coole Buben im Alter von 7 und 9 Jahren zu Märchenfans wurden. Sie kommen mittlerweile zu jeder meiner Veranstaltung. Ich liebe die beiden. Sie sind mittlerweile 10 und 12 Jahre alt und sie hängen bei jedem Märchennachmittag an meinen Lippen. Sie warten, bis ich etwas frage und dann legen sie los.

Das klingt unglaublich? Finde ich nicht! Was ich sie beim ersten Mal gefragt habe, weiß ich gar nicht mehr so genau. Aber ich konnte ihnen nachfühlen, wie es ihnen damals ging. Als sie das erste Mal beim Märchenerzählen dabei waren, war das nicht freiwillig gewesen. Ihre Eltern hatten sie geschickt. Sie sollten dort bleiben und Ruhe geben. Sie taten mir ein bisschen leid. Und ich? Ich wollte es einfach wissen: Mögen coole 12-Jährige Märchen? Ich fragte sie einfach, was sie hören wollten. Etwas Gruseliges? Oder etwas Witziges, total Blödsinniges? Ja, sagten sie. Ich glaube, sie fühlten sich endlich ernstgenommen. Das wollen wir doch alle oder? Welche Märchen ich damals erzählte, wollt ihr wissen? Diese:

  • Von Einem der auszog, das Fürchten zu lernen (gruseliges Grimms Märchen)
  • Wie der Elefant seinen Rüssel bekam (skurriles Tiermärchen)

Meine 5 Tipps zum Märchenerzählen

1. Feiert den Anfang

Gute Erzähler machen ein Fest aus dem Anfang. Vor den magischen Worten „Es war einmal“, könnt ihr andeuten, um was es in eurer Geschichte gehen wird. Blickt in die Runde, wer euch zuhört. Blicke, Gesten und Pausen sind das A und O beim Erzählen. Sind es ganz kleine Märchenfans im Vorschulalter? Sind es coole Jungs? Oder wissbegierige Mädchen? Schüchterne kleine Geschwister? Wer kann es kaum erwarten? Wer hört noch nicht ganz zu? Genau für die oder den solltet ihr das erste Märchen erzählen. Sucht das Passende raus und „bewerbt“ es mit spannenden Worten.

Märchenerzählerin breitet Arme aus und zeigt, wie ein Kondor fliegt

Beispiele: Kennt ihr das Märchen, in dem ein Mensch plötzlich ganz groß, sogar riesig wird? (Gullivers Reisen). Wollt ihr euch mal so richtig gruseln? Das ist aber nichts für Angshasen! (Gruselige Sagen vom Tod, wo jemand im Grab spricht oder das oben genannte, von dem der sich nicht fürchtet usw.) Wollt ihr wissen, wie ein ganz leckeres Obst auf unsere Erde kam (oder ein berühmtes Gericht entstand)? (Das Geschenk der Löwin; Die Steinsuppe)

2. Es war einmal!

Sagt die magische Worte, legt eine kleine Pause ein – und beginnt dann zu erzählen. Wie ein Zauberer den Zauberstab schwingt, könnt ihr mit Blicken, Gesten und einer bedeutungsvollen Pause das Publikum in Vorfreude versetzen. Jetzt, genau jetzt solltet ihr anfangen!

3. Ablesen oder frei vortragen?

Wie ihr wollt! Ich persönlich mische beide Erzählformen. Warum? Einerseits liebt mein Publikum diese Märchensprache mit all ihren seltsamen Worten und Satzteilen, wie „Da wart er zu Stein“ oder „mich deucht…“. Auch mögen meine Zuhörer, wenn ich die wörtliche Rede mit verschiedenen Stimmen spreche. Der König spricht tief und bedächtig, der schnelle Hase spricht hektisch, die quakene Kröte „schnarrt“ … Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Spaß es macht in unterschiedlichen Stimmen zu erzählen! – Andererseits hebe ich gerne den Blick vom Buch und schaue in die Gesichter meiner Zuhörer. Ich lasse sie gerne teilhaben an dem, was gerade geschieht. Das bekomme ich nur mit der freien Erzählung hin.

4. Interaktiv Märchenerzählen

Traut euch! Gerne unterbreche ich mitten im Märchen und frage in die Runde. Wenn mir der Chor der Kinder (und Erwachsenen!) antwortet, dann freue ich mich. Das passiert sehr oft. Also freue ich mich auch oft während des Erzählens. Ihr könnt das auch! Beispiele: Was meint ihr, hat der König nun getan? Glaubt ihr dem Diener? Und was sagten die Tiere wieder?

5. Noch interaktiver Märchenerzählen

Märchenerzählerin und Publikum

Wenn ihr es geschafft habt, dass die Zuhörer*innen antworten (und das tun sie IMMER, glaubt mir!), dann traut euch, sie zum Mitmachen anzuregen. Aber nicht vorher, erst im zweiten Schritt. Wie beim Sport müssen eure Zuhörer sich regelrecht aufwärmen!

Beispiele: Blickt ein oder zwei Kinder an und fragt, „könnt ihr mir helfen?“ oder „Jetzt braucht der Kondor Hilfe beim Fliegen!“ oder „Wir müssen jetzt kräftig rühren, damit der Brei …“ oder „Jetzt müssen wir alle feste pusten, damit das Haus …“. Und dann macht ihr als erste*r mit, schlagt mit imaginären Flügeln, rührt mit dem unsichtbaren Holzlöffel, pustet, fechtet, stapft wie ein Elefant …

Etwas zum Abschluss:

Abschießend möchte ich noch etwas loswerden, das mir persönlich wichtig ist: Lasst eurer Fantasie freien Lauf! Ihr werdet sehen, dass ihr keine Requisiten beim Märchenerzählen braucht. Sie stören sogar, meiner Meinung nach. Warum? Weil der schönste Ring nur der schönste in eurer Vorstellung ist. Jeder stellt sich einen anderen Ring, einen anderen Königsmantel usw. vor. Beschreibt, bewegt, lasst die Märchen in den Köpfen eurer Zuhörer entstehen (und in euren Köpfen). Denn erst dann sind sie wirklich märchenhaft!

Märchen for free! Lade dir ein Märchen herunter

Ich wollt jetzt Märchen zum Vorlesen haben? Kriegt ihr! Auf der Seite des Internationalen Kulturverein Mering findet ihr eine Auswahl „Märchen for free“ mit Erzähltipps von mir. Die könnt ihr als PDF-Dateien gratis herunterladen, ausdrucken und vorlesen. Oder euch vorlesen lassen. Zum Beispiel jetzt – während der Ausgangsbeschränkung wegen der weltweiten Corona Pandemie – von Oma und Opa am Telefon. – Die freuen sich auch auf euch!!

Märchenerzählerin Manuela Krämer steht vor dem Märchenzelt
Habt Spaß – have fun, Eure Manuela!

13 Kommentare zu „Märchenerzählen – mein Beitrag für Familien zuhause“

  1. Hallo Manuela, da hast du mir ja richtig Lust auf eine Märchenstunde mit dir gemacht! Du beschreibst die so spannend, dass selbst ich riesig Lust hätte, dir zuzuhören und dabei die Kindergesichter zu beobachten! Wirklich toll! Ich selbst hab Märchen auch immer geliebt, in den letzten Jahren spielten sie aber nicht mehr so eine große Rolle in meinem Leben! Mein Lieblingsmärchen ist übrigens „Das Feuerzeug“ von Andersen!

    Liebe Grüße
    Jana

  2. Märchen sind etwas tolles. Als Kind, habe ich jeden Abend eins erzählt bekommen. Dabei ist es auch vorgekommen, dass die ein oder andere Sache etwas abgeändert wurde =D Aber im Märchen ist alles möglich und das ist ja das tolle daran.
    Danke für deinen Beitrag.
    MfG

    1. Wenn du Märchen „abänderst“, bist du auf dem richtigen Weg. Die Geschichten sind ja nur Grundgerüste. Wichtig ist, wie wir Erzähler sie mit Leben füllen. Da kann ich dich (und alle Vorleser) nur zu ermutigen! Just do it!! 🙂

  3. Ich liebe Märchen. Als Kind habe ich sie von meiner Oma erzählt bekommen und später aus Büchern verschlungen. Ja, die Zeit ist wahrlich nicht schön, aber es wäre ein kleiner positiver Nebeneffekt, wenn sie den Märchen zu etwas mehr Popularität verhilft.
    LG Renate

  4. Hallo Manuela,
    eine sehr schöne Idee! Ich glaube nur, dass das viele Eltern auch erst mal wieder nachlesen müssten. Das würde Ihnen gut tun. Ich stelle nämlich immer wieder überrascht fest, das die meisten Erwachsene nur Buchstücke der bekannten Märchen kennen. So gibt z. b. es das allseits bekannte „den Frosch küssen“ gar nicht. (Warum sollte die Prinzessin ihn küssen? Sie findet ihn total ekelig. Sie wirft ihn an die Wand!)
    Und trotzdem, irgendwie hat die ganze Corona Situation auch etwas Positives: Wir besinnen und wieder auf die einfachen Dinge. Wir lernen wieder neu zu schätzen, was uns sonst zu trivial ist. Sei es, das wir unseren Kindern Märchen oder alten Geschichten erzählen oder einfach mal wieder Brettspiele mit der Familie spielen. Ich wünsche mir, das davon auch „nach Corona“ etwas hängenbleibt.
    Verspielte Grüßle,
    Simone

    1. Hach, du sprichst mir aus der Seele, liebe Simone. Ich wünsche mir auch, dass wir ein paar unserer neuen alten Gewohnheiten nach der Krise behalten werden. Kostenlose Freizeitgestaltung ohne Animation und teuren Schnickschnack. Selbstbestimmte Freizeitgestaltung, nennt man das auch. 🙂

  5. Meine Tochter mag Märchen auch sehr gerne. Sie hat ein Märchenbuch mit einem goldenen Umschlag und das findet sie so schön und sagt immer, es sei ihr Lieblingsbuch. Das sagt sie aber nur wegen der Optik, denn eigentlich lesen wir andere Geschichten öfter 😉 Aber manche Märchen kann sie schon auswendig 😀

    Liebe Grüße
    Diana

    1. Das ging mir genauso, Alice Christina. Meine Mutter hat uns so toll vorgelesen, später dann ich unserem Kind. Und dann konnte ich nicht aufhören. So bin ich hier vor Ort zur „Märchenerzöhlerin“ geworden … 🙂 Es macht genauso viel Spaß, Erzähler zu sein wie Zuhörer. Vielleicht sogar noch mehr. Wenn man merkt, dass sie Zuhörer ganz in die Geschichte eintauchen, sich schier „hineinträumen“, das ist einfach fantastisch.

  6. Liebe Manuela,

    mit Märchen fing bei mir damals die Leidenschaft für Geschichten an. Meine Oma erzähle sie leidenschaftlich gern völlig frei und ich habe es geliebt ihr stundenlang zu lauschen.
    Später, als ich sie selber lesen konnte verschlang ich alles, was ich in die Hände bekam. Am meisten mochte ich Märchen aus anderen Ländern.
    Deine Tipps zum Märchen erzählen finde ich große klasse.

    Liebe Grüße
    Mo

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