5 Tipps zum Märchenerzählen

Märchenerzählen bedeutet nicht nur, sich die Zeit zu vertreiben. Erzählen ist eine große Fähigkeit, die wir Menschen besitzen. In den Märchen unserer Kulturen stecken überlieferte Weisheiten und Überlebenstipps unserer Ahnen.

Mit den 5 Tipps zum Märchenerzählen möchte ich dich ermutigen, deinen Erzählmuskel wieder zu nutzen. Und ich möchte dir zeigen, wie du Geschichten so erzählen kannst, dass alle gerne zuhören.

Nicht nur Kinder, auch Erwachsene hören gerne Geschichten. Viele Seniorinnen und Senioren sind übrigens auch begeisterte Märchenfans.

Zum Schluss findest du einen Link auf meine „Märchen for free“ – von mir erzählfertig gemachte Märchen zum Download, die ich im Lockdown 2020  für meinen Verein erstellt habe!

Diesen Blogartikel habe 2020 geschrieben und 2025 überarbeitet. 

Märchen sind das kollektive Gedächtnis einer Kultur. Und darüber hinaus sind die Geschichten von Helden, Tieren und Zauberwesen wahre Alleskönner. Höchste Zeit, dass wir uns auf den größten Schatz der Menschheit besinnen: unsere Erzählkultur. Wir erzählen seit Urzeiten Geschichten, um etwas Wichtiges an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Das können bestimmte Verhaltensregeln bei Gefahr sein. Oder es geht um soziales Miteinander in der Gruppe. Oder um andere Überlebenstricks. Lies hier, warum Märchen so zeitlos sind und uns auch heute noch „triggern“. 

Doch wie erzählt man Märchen heute? Wie können die uralten Geschichten heute noch – in Zeiten von Reizüberflutung durch Social-Media und Tic-Toc-Videos begeistern? 

5 Tipps zum Märchenerzählen

Fange weit vor dem Märchen an!

Poetry-Slam, Lesung oder Märchenstunde: Gute Erzähler wärmen ihr Publikum auf.

Nicht einfach drauflos erzählen! Wie „früher“ sitzen wir im Kreis – um ein Feuer, auf Stühlen oder auf gemütlichen Kissen im Wohnzimmer – und müssen uns erst einmal einfinden. Wie?

Vor den magischen Worten „Es war einmal“, könnt ihr andeuten, um was es in eurer Geschichte gehen wird. Blickt in die Runde, wer euch zuhört. Blicke, Gesten und Pausen sind das A und O beim Erzählen. Sind es ganz kleine Märchenfans im Vorschulalter? Sind es coole Jungs? Oder wissbegierige Mädchen? Schüchterne kleine Geschwister? Wer kann es kaum erwarten? Wer hört noch nicht ganz zu? Genau für die oder den solltet ihr das erste Märchen erzählen. Sucht das Passende raus und „bewerbt“ es mit spannenden Worten.

Beispiele für einleitende Worte

  • Kennt ihr das Märchen, in dem ein Mensch plötzlich ganz groß, sogar riesig wird? ⇾ Gullivers Reisen.
  • Wollt ihr euch mal so richtig gruseln? Das ist aber nichts für Angshasen! ⇾ Gruselige Sagen vom Tod, wo jemand im Grab spricht oder das oben genannte, von dem, der sich nicht fürchtet usw.
  • Wollt ihr wissen, wie ein ganz leckeres Obst auf unsere Erde kam oder ein berühmtes Gericht entstand? ⇾ Das Geschenk der Löwin | Sopa da Pedra – Die Steinsuppe.

Es war einmal … (Pause)

Feiere den Anfang! Immer wieder fasziniert es mich, dass Kinder wissen, wie Märchen beginnen. Vor allem in Zeiten von Smartphone, Tablets und den schönen neuen elektronischen Spielewelten ist das beindruckend! Meist kräht der Chor der Zuhörer*innen – und darunter befinden sich auch Erwachsene (!) – mir die magischen Worte zu.

Sprich auch du nun die magischen Worte, lege eine kleine Pause ein – und beginne dann erst mit dem Märchen.

Wie ein Zauberer den Zauberstab schwingt, könnt ihr mit Blicken, Gesten und einer bedeutungsvollen Pause das Publikum in Vorfreude versetzen. Jetzt, genau jetzt solltet ihr anfangen!

Die Anfangszeremonie gehört zum erzählen dazu – und dein Publikum freut sich darauf!

Beginne mit der Erzählung. Denn ist dein Publikum ganz bei dir. Sie dürfen mitmachen, das finden wir doch alle schön – oder? Also, was machst du weiter? Richtig: Lasst deine großen und kleinen Märchenfans mitmachen. Das freut auch die, die vorher behaupten, dass sie keine Märchen mögen. Die Märchenskeptiker, große und kleine. Lasst sie nicht außen vor! Ihr werdet sehen, sie werden im Verlauf eurer Erzählung zu Märchenfans!

Weniger ist mehr

Das „Zuviel“ sollte weglassen werden. Genau das macht auch ein traditioneller Märchenerzähler: Einfach erzählen! Zuviele Erklärungen, warum und wie, brauchen gute Märchen nicht. Einen Glitzermantel brauchen gute Märchenerzähler auch nicht. ACHTUNG: Manche Texte enthalten furchtbar langweilige, erhobene Zeigefinger. Braucht kein Kind! Weg damit! So einfach? Gut, es gibt andere wichtigere Dinge, die ihr als Märchenerzähler tatsächlich nutzen könnt. Ein wichtiges Zaubermittel, um spannend zu erzählen, heißt Empathie (Einfühlungsvermögen).

Ablesen oder frei vortragen?

Wie ihr wollt! Ich persönlich mische beide Erzählformen. Warum? Einerseits liebt mein Publikum diese Märchensprache mit all ihren seltsamen Worten und Satzteilen, wie „Da wart er zu Stein“ oder „mich deucht…“. Auch mögen meine Zuhörer, wenn ich die wörtliche Rede mit verschiedenen Stimmen spreche. Der König spricht tief und bedächtig, der schnelle Hase spricht hektisch, die quakene Kröte „schnarrt“ … Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Spaß es macht in unterschiedlichen Stimmen zu erzählen! – Andererseits hebe ich gerne den Blick vom Buch und schaue in die Gesichter meiner Zuhörer. Ich lasse sie gerne teilhaben an dem, was gerade geschieht. Das bekomme ich nur mit der freien Erzählung hin.

Interaktiv Märchen erzählen

Märchen erzählen ist Storytelling pur!

Traut euch! Gerne unterbreche ich mitten im Märchen und frage in die Runde. Wenn mir der Chor der Kinder (und Erwachsenen!) antwortet, dann freue ich mich. Das passiert sehr oft. Also freue ich mich auch oft während des Erzählens. Ihr könnt das auch! Beispiele: Was meint ihr, hat der König nun getan? Glaubt ihr dem Diener? Und was sagten die Tiere wieder?

Noch interaktiver

Die Märchenerzählerin lässt Federn fliegen.

Wenn ihr es geschafft habt, dass die Zuhörer*innen antworten (und das tun sie IMMER, glaubt mir!), dann traut euch, sie zum Mitmachen anzuregen. Aber nicht vorher, erst im zweiten Schritt. Wie beim Sport müssen eure Zuhörer sich regelrecht aufwärmen!

Beispiele: Blickt ein oder zwei Kinder an und fragt, „könnt ihr mir helfen?“ oder „Jetzt braucht der Kondor Hilfe beim Fliegen!“ oder „Wir müssen jetzt kräftig rühren, damit der Brei …“ oder „Jetzt müssen wir alle feste pusten, damit das Haus …“. Und dann macht ihr als erste*r mit, schlagt mit imaginären Flügeln, rührt mit dem unsichtbaren Holzlöffel, pustet, fechtet, stapft wie ein Elefant …

Etwas Wichtiges zum Schluss

Abschließend möchte ich noch etwas loswerden, das mir persönlich wichtig ist: Lasst eurer Fantasie freien Lauf! Ihr werdet sehen, dass ihr keine Requisiten beim Märchenerzählen braucht. Sie stören sogar, meiner Meinung nach. Warum? Weil der schönste Ring nur der schönste in eurer Vorstellung ist. Jeder stellt sich einen anderen Ring, einen anderen Königsmantel usw. vor. Beschreibt, bewegt, lasst die Märchen in den Köpfen eurer Zuhörer entstehen (und in euren Köpfen). Denn erst dann sind sie wirklich märchenhaft

Märchen for free! Lade dir ein Märchen herunter

Ich wollt jetzt Märchen zum Vorlesen haben? Kriegt ihr! Auf der Seite des Internationalen Kulturverein Mering findet ihr eine Auswahl „Märchen for free“ mit Erzähltipps von mir. Die könnt ihr als PDF-Dateien gratis herunterladen, ausdrucken und vorlesen. Oder euch vorlesen lassen. Zum Beispiel jetzt – während der Ausgangsbeschränkung wegen der weltweiten Corona-Pandemie – von Oma und Opa am Telefon. – Die freuen sich auch auf euch!

 

Habt Spaß – have fun, Eure Manuela!

13 Kommentare zu „5 Tipps zum Märchenerzählen“

  1. Hallo Manuela, da hast du mir ja richtig Lust auf eine Märchenstunde mit dir gemacht! Du beschreibst die so spannend, dass selbst ich riesig Lust hätte, dir zuzuhören und dabei die Kindergesichter zu beobachten! Wirklich toll! Ich selbst hab Märchen auch immer geliebt, in den letzten Jahren spielten sie aber nicht mehr so eine große Rolle in meinem Leben! Mein Lieblingsmärchen ist übrigens „Das Feuerzeug“ von Andersen!

    Liebe Grüße
    Jana

  2. Märchen sind etwas tolles. Als Kind, habe ich jeden Abend eins erzählt bekommen. Dabei ist es auch vorgekommen, dass die ein oder andere Sache etwas abgeändert wurde =D Aber im Märchen ist alles möglich und das ist ja das tolle daran.
    Danke für deinen Beitrag.
    MfG

    1. Wenn du Märchen „abänderst“, bist du auf dem richtigen Weg. Die Geschichten sind ja nur Grundgerüste. Wichtig ist, wie wir Erzähler sie mit Leben füllen. Da kann ich dich (und alle Vorleser) nur zu ermutigen! Just do it!! 🙂

  3. Ich liebe Märchen. Als Kind habe ich sie von meiner Oma erzählt bekommen und später aus Büchern verschlungen. Ja, die Zeit ist wahrlich nicht schön, aber es wäre ein kleiner positiver Nebeneffekt, wenn sie den Märchen zu etwas mehr Popularität verhilft.
    LG Renate

  4. Hallo Manuela,
    eine sehr schöne Idee! Ich glaube nur, dass das viele Eltern auch erst mal wieder nachlesen müssten. Das würde Ihnen gut tun. Ich stelle nämlich immer wieder überrascht fest, das die meisten Erwachsene nur Buchstücke der bekannten Märchen kennen. So gibt z. b. es das allseits bekannte „den Frosch küssen“ gar nicht. (Warum sollte die Prinzessin ihn küssen? Sie findet ihn total ekelig. Sie wirft ihn an die Wand!)
    Und trotzdem, irgendwie hat die ganze Corona Situation auch etwas Positives: Wir besinnen und wieder auf die einfachen Dinge. Wir lernen wieder neu zu schätzen, was uns sonst zu trivial ist. Sei es, das wir unseren Kindern Märchen oder alten Geschichten erzählen oder einfach mal wieder Brettspiele mit der Familie spielen. Ich wünsche mir, das davon auch „nach Corona“ etwas hängenbleibt.
    Verspielte Grüßle,
    Simone

    1. Hach, du sprichst mir aus der Seele, liebe Simone. Ich wünsche mir auch, dass wir ein paar unserer neuen alten Gewohnheiten nach der Krise behalten werden. Kostenlose Freizeitgestaltung ohne Animation und teuren Schnickschnack. Selbstbestimmte Freizeitgestaltung, nennt man das auch. 🙂

  5. Meine Tochter mag Märchen auch sehr gerne. Sie hat ein Märchenbuch mit einem goldenen Umschlag und das findet sie so schön und sagt immer, es sei ihr Lieblingsbuch. Das sagt sie aber nur wegen der Optik, denn eigentlich lesen wir andere Geschichten öfter 😉 Aber manche Märchen kann sie schon auswendig 😀

    Liebe Grüße
    Diana

    1. Das ging mir genauso, Alice Christina. Meine Mutter hat uns so toll vorgelesen, später dann ich unserem Kind. Und dann konnte ich nicht aufhören. So bin ich hier vor Ort zur „Märchenerzöhlerin“ geworden … 🙂 Es macht genauso viel Spaß, Erzähler zu sein wie Zuhörer. Vielleicht sogar noch mehr. Wenn man merkt, dass sie Zuhörer ganz in die Geschichte eintauchen, sich schier „hineinträumen“, das ist einfach fantastisch.

  6. Liebe Manuela,

    mit Märchen fing bei mir damals die Leidenschaft für Geschichten an. Meine Oma erzähle sie leidenschaftlich gern völlig frei und ich habe es geliebt ihr stundenlang zu lauschen.
    Später, als ich sie selber lesen konnte verschlang ich alles, was ich in die Hände bekam. Am meisten mochte ich Märchen aus anderen Ländern.
    Deine Tipps zum Märchen erzählen finde ich große klasse.

    Liebe Grüße
    Mo

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