Storytelling Glossar: Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt

Storytelling Glossar

Wer kennt sie nicht, die ein oder andere Familiengeschichte, die immer phantastischer wird, je öfter sie erzählt wird? Heute möchten auch viele Unternehmen als besonders nachhaltige, familienfreundliche oder soziale Art wahrgenommen werden und packen dies in eine Geschichte. Und manchmal hört man ein altes Märchen und denkt sich: Wow, da ist ja diese eine zeitlose Lebensweisheit super erklärt!! Das alles ist Storytelling.

Aber in letzter Zeit wurde gutes Erzählen – von wem auch immer – zur Wissenschaft erhoben. Storytelling ist aber kein Buch mit sieben Siegeln. Storytelling ist „nur“ der englische Fachbegriff für die uralte wunderbare Erzähltradition, die wir Menschen weltweit selbst entwickelt haben. Zum besseren Verständnis habe ich hier mal (m)ein Storytelling Glossar zusammengestellt und – gleich unter „A“ – auch das älteste Glossar der Welt angefügt.

Abrogans

Das älteste „Glossar“, ein Wörterbuch Latein – Althochdeutsch, gilt es als das älteste erhaltene Buch in deutscher Sprache. Mönche fanden hier althochdeutsche Bezeichnungen für lateinische Ausdrücke, was damals unüblich war. Man schrieb nicht in „welscher“ (deutscher Volkssprache), sondern ausschließlich auf Latein!! Der sprachgeschichtlich super-wertvolle Abrogans (Codex Cod. Sang. 911, S. 319–320) wird in der Klosterbibliothek St. Gallen aufbewahrt. Woher kommt der Name? Man betitelte das Wörterbuch einfach nach dem ersten Eintrag, Abrogans (latein.) = bescheiden, demütig. Ich durfte vor vielen Jahren einen Blick ins Buch werfen.

Auktorialer Erzähler

Erzählperspektive, in der der Erzähler von außen auf die Geschichte schaut. Der auktoriale Erzähler weiß alles, kennt die Figuren, auch alle Hintergründe und das Ende. Daher wird er auch „Allwissender Erzähler“ genannt. Der auktoriale Erzähler stellt sich dem Leser meist als Person vor. Ich stelle ihn mir gerne etwas entfernt vor, leicht über der Person oder Szene schwebend, die er erzählt. Ältere Geschichten sind oft im auktorialen Stil gehalten. Der auktoriale Erzähler ist typisch für das Storytelling in Märchen: „Es war einmal…“ beginnen sie und dann führt der Erzähler weiter durch die Story „… da saß ein armes Schneiderlein in seiner Stube …“

Charaktere

Die Figuren, die in einer Geschichte auftreten und durch ihre Handlungen und Entscheidungen die Handlung vorantreiben. Es gibt Haupt- und Nebencharaktere. Ich sage lieber Figuren.

Cliffhanger

Ein dramatisches Element am Ende eines Kapitels oder einer Szene, das nicht aufgelöst wird. Der „Klippenhänger“ hält den Leser oder Zuschauer in Spannung. Man will unbedingt wissen, wie es weitergeht. Sheherazade macht dies übrigens gekonnt in „1.001 Nacht“ und rettet sich so vor dem Tode.

 

Erlebte Rede

Erzählform, die die Distanz zwischen Erzähler und Figur aufhebt. Meist nutzt man aus der Sicht des Personalen Erzählers schreibt. Der Trick ist, einerseits ist die Wortstellung wie in der direkten Rede aber man gebraucht die dritte Person und schreibt (meist) im Präteritum. Die erlebte Rede eignet sich super, um die Gedanken einer Figur wiederzugeben. Diese werden aber nicht unmittelbar von ihr selbst in der Ich-Form, sondern vom Erzähler geschildert. Der Personale Erzähler blickt ja über die Schulter der Figur, remember? Beispiel aus meiner Kurzgeschichte Der Geist der Weihnacht: „Marco zuckte die Schultern. Kam denn überhaupt noch ein Zug? Wollte er überhaupt noch einsteigen?“

Erzählperspektive

Die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird, z.B. aus der Sicht eines bestimmten Charakters oder einer allwissenden Erzählstimme. Als Ich-Erzählung, Personale Erzählhaltung, Auktoriale Erzählweise und so weiter. Man kennt sie auch als Point of View.

Erzählmuster

Muster oder Raster, in dem der Erzähler die Story …. erzählt. : ) Da gibt es das chronologische Erzählmuster, also vom zeitlichen Beginn bis zum Schluss der Story. Dann das Gegenteil, das a-chronologische Muster. Das liegt vor, wenn eine Story von der zeitlichen Abfolge abweicht, indem zum Beispiel eine Rahmenhandlung oder Rückblenden eingefügt werden. Auch ein Epilog, in dem das Ende am Anfang erzählt wird, gehört zu diesem Muster. Und dann gibt es noch die multilinearen Erzählmuster, die zwar auch alle a-chronologisch sind, das Hin- und Herspringen jedoch noch weiter variieren, wie die „Haken-Eröffnung“ (Hook) oder illustrierende Flashbacks (ganz viele Rückblenden) usw.

Erzählstimme

Art und Weise, wie der Erzähler die Geschichte erzählt und wie er oder sie die Stimmung der Handlung beeinflusst. Die Erzählstimme ist mehr wie die Erzählperspektive. Sie erzählt in einem ganz bestimmten Stil mit der ganz individuellen Stimme und Art des Erzählers usw.

Erzähltempo

Das Verhältnis zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit nennt man das Erzähltempo. Es bezeichnet also die Geschwindigkeit, in der die Geschichte erzählt wird.

Erzählzeit / erzählte Zeit

Erzählzeit ist die Zeit, die der Autor oder Regisseur braucht, um eine Geschichte zu erzählen. Der Redner auf der Bühne hat vielleicht 10 Minuten, der Spielfilm dauert 120 Minuten und das Buch hat 336 Seiten. Die erzählte Zeit ist die, in der sich die Story tatsächlich abspielt. Fun-Fact: Im Film Titanic legte Regisseur James Cameron während des Schiffuntergangs die erzählte Zeit deckungsgleich mit der Erzählzeit.

Gedankenstrom

Auch Bewusstseinsstrom genannt, im Englischen „Stream of Concsiousness“. Ganze Abschnitte, die scheinbar ungeordnet klingen, so als ob die Figur gerade völlig spontan ihren Gedanken freien Lauf lässt. Nicht einfach zu schreiben aber ein tolles Mittel, um Lebendigkeit in eine Story zu bringen. Meist wird im Präsenz und in der Ich-Form erzählt. Es gibt aber auch eine ähnlich Form für den Personalen Erzähler, die erlebte Rede. Meist in der modernen Literatur enthalten, bekanntes Beispiel ist Ulysses von James Joye. Ich finde den Gedankenstrom in Alfred Anderschs Geschichte Sansibar oder der letzte Grund besonders gut.

Historisches Präsens

Nutzt man, um etwas, das in der Vergangenheit passiert ist, für die Leser oder Zuhörer besonders lebendig darzustellen, indem man es in die Gegenwart holt.  Achtung: Aus dem Kontext, beispielsweise aus den vorangehenden Sätzen, muss klar werden, dass es sich um etwas Vergangenes handelt. – Nutze ich persönlich sehr gerne für Orts- oder Landkreis-Chroniken, da Texte so lebendiger und bildhafter werden.

Ich-Erzähler

Erzählperspektive, in der der Erzähler (der aber nicht mit der Person des Autors identisch ist) aus der eigenen Sicht erzählt, natürlich in der Ich-Form. So erfährt der Leser nur das, was diese Figur fühlt, sieht oder von anderen erfährt. Alles, was ohne Wissen der Figur in der Story passiert, erfährt man nicht. Ähnlich (aber anders) geht das mit dem Personalen Erzähler.

In medias res

Wenn die Geschichte in der Mitte (lateinisch: media) beginnt, anstatt am Anfang. Kurzgeschichten fangen üblicherweise (also nach Schulehrbuch) plötzlich, mitten im Geschehen an. Damit muss der Leser sich erst einmal in der Geschichte zurecht finden, was spannend sein kann. Meine  Geschichte Tabula Draconis, Münchner Ausgabe platzt auch mitten ins Geschehen mit: „‚Ting, ting, ting.'“ Punkt neun Uhr und schon meldete die Tür vorne im Laden den ersten Besuch…“ übrigens in der erlebten Rede : ) .

Kernthema

Die zentrale Botschaft oder der zentrale Gedanke, der in einer Geschichte vermittelt wird. Es gibt viele Themen, über die man erzählen kann, die sich meist jedoch in  wenige übergeordnete Kernthemen (Core Story) einsortieren lassen. Klimaschutz kann ein Kernthema sein, ein literarisches Motiv, wie „Bruderzwist“ oder „wahre Liebe“ kann auch zum Kernthema werden.

Konflikt

Ein Problem oder eine Herausforderung, die die Hauptfigur oder die Handlung der Geschichte antreibt.

Lemniskate

Ein Handwerkzeug für Erzähler, mit dem die Betonung, die Gestaltung der Spannungsbögen und die Tonalität der einzelnen Figuren entwickelt werden können. Erzählen nach der Lemniskate hat die Literaturwissenschaftlerin, Sprachpädagogin und Wortkünstlerin, Vilma Mönckeberg-Kollmar (1892-1985), entwickelt. Die Lemniskate, eine liegende Acht, ist Symbol für ewige Wiederkehr, das Leben als Schwingung, Fluss.

Literarisches Motiv

So nennt man etwas, das übergeordnet hinter einer Szene, einer Handlung (Handlungsmotiv), einer Figur oder einer ganzen Geschichte steht. Motive gibt es sehr sehr viele, sogar in einer einzelnen Story. Beispiele: Hinter der Figur des Don Quichote steckt der „Sonderling“ als Motiv, während in seinem Diener, Sancho Pansa, „der überlegene Diener“ steckt. Das ganze Setting des Romans von Cervantes macht sich über das damals sehr beliebte literarische Motiv „Arkadien“ lustig. Buchtipp: Ich liebe Elisabeth Frenzels Motive der Weltliteratur.

Metapher

Der Begriff leitet sich vom griechischen Wort metaphorá für „anderswohin tragen“. Als Metapher bezeichnet man eine sprachliche Figur, bei der ein Objekt oder eine Handlung als etwas anderes dargestellt wird. Damit kann der Autor oder Storyteller eine Bedeutung vermitteln. Beispiele: Die Sonne lacht, was sie ja garnicht kann, oder „Frühling lässst sein blaues Band…“ (Gedichtanfang von Edward Mörike), für den blauen Himmel, oder „entschlafen“ statt sterben. All diese sprachlichen Figuren sind Metaphern, die sich wiederum einteilen lassen in Personifikation (die lachende Sonne z.B.) , Synästhesie usw.

Motivation

Die Gründe, warum ein Charakter so und nicht anders handelt oder eine Entscheidung trifft. Was treibt Frodo Beutlin in Herr der Ringe an, zum Schicksalsberg zu gehen und was treibt Samweis und Gollum an, sich ihm anzuschließen? Alle drei haben verschiedene Motivationen.

Narratives Gerüst

Die grundlegende Struktur oder Rahmenhandlung, die eine Geschichte umgibt und ihr einen Sinn und eine Form gibt. Auch Handlungsgerüst oder Plot genannt, obwohl letzteres eine leicht andere Bedeutung hat.

Personaler Erzähler

Erzählperspektive, in der aus der Sicht einer oder mehrerer Figuren erzählt wird aber keine Ich-Form benutzt wird. Ich stelle mir das immer so vor, denn ich schreibe auch am liebst aus dieser Sicht: Der personale Erzähler steht direkt „hinter“ der Figur und berichtet dem Leser, was diese sieht, denkt, erlebt und fühlt. Es wird in der „Er-Form“ erzählt. Franz Kafka wählte gerne die personale Erzählperspektive und ich liebe sie auch sehr für meine phantastischen Geschichten.

Plot

Die Handlung einer Geschichte, die aus einer Abfolge von Ereignissen besteht, die aufeinander aufbauen und zu einem Höhepunkt führen. Damit ist der Begriff Plot zielgerichteter gemeint als das Narrative Gerüst.

Plötzlicher Einfall

Der Held hat eine Idee, ein Stein fällt herab …. Eine plötzliche Eingebung oder ein spontanes Ereignis, das die Handlung verändert oder den weiteren Fortgang zumindest beeinflusst.

Point of View

(siehe: Erzählperspektive)

Retardierendes Element

Eine Szene, die den Fortgang der Handlung hinauszögert. Viele kennen das: Nach dem Höhepunkt wird – zum Beispiel bei einem Krimi – die Auflösung durch einen Zwischenfall verhindert. Ein kurzzeitiger anderer Ausgang als erwartet, erzeugt Spannung. Das retardierende Element kann aber auch als Nebenhandlungen oder Rückblenden eingesetzt werden. Man kann das Mittel der Verzögerung sowohl in einem Text als auch in einer Rede einsetzen.

Roter Faden

Im Prinzip bildet die Struktur den Roten Faden durch einen Text. Wenn ich die Leitidee, zum Beispiel „Heldenreise“, erkenne oder die Argumentationsstruktur, die sich Schritt für Schritt aufbaut, dann … kann ich dem Text besser folgen. Siehe auch: Handlungsgerüst oder Plot.

 

Setting

Der Ort, die Zeit und die Umgebung, in der eine Geschichte stattfindet. Ein Oberbegriff für alle drei also.

Spannung

Eine Art von emotionaler Energie, die in einer Geschichte erzeugt wird, um Leserinnen und Leser oder die Zuhörerinnen und Zuhörer zu fesseln. Hierzu gibt es verschiedene Methoden, zwei von vielen sind der Cliffhanger und das retardierende Element. Bei mündlichen Vorträgen setzt man gerne Mimik und Gestik sowie Sprechpausen zur Steigerung der Spannung ein.

Zeitdeckung

Wenn die erzählte Zeit genauso lange ist wie die Erzählzeit (s.o.), dann spricht man von Zeitdeckung. Beispiel: Ich lege mein Buch hin, gehe aus dem Raum und schaue kurz auf die schlafende Katze zurück.

Zeitdehnung

Wenn die Erzählzeit länger ist als die erzählte Zeit, gibt es eine Zeitdehnung. Als Beispiel nehmen die meisten den Roman Ulysses von James Joyce. Extrem gedehnte Erzählzeit findet man in der Erzählung El Milagro Secreto (Das geheime Wunder) von Jorge Luis Borges.

Zeitraffung

Eine Zeitraffung passiert bei den meisten Geschichten, hier ist die Erzählzeit kürzer als die erzählte Zeit. Beispiel: Ich lege mein Buch hin. Nach einem kurzen Blick auf die Katze, verlasse ich das Haus und steige ins Auto.

Zuspitzung

Technik, mit der man die Spannung im Text erhöhen und die Leser auf einen, natürlich „den“ entscheidenden Moment vorbereiten kann. Man kann sie auch nutzen, um ein bestimmtes Thema oder eine Idee – oder im Business -Storytelling eine Innovation oder Strategie zu betonen. Dazu nutzt der Erzähler die Handlung samt aller möglichen Elemente (Annekdoten, Beispiele, Konfrontation der Figuren …) gezielt, um zum Höhepunkt (darauf, wo er eigentlich hinaus will) zu gelangen.

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Storytelling = machen statt studieren!

Storytelling ist besonders eindrucksvoll, wenn es intuitiv und spontan passiert und wenn man auf das Publikum bzw. seine Leserinnen und Leser eingeht. Ab und zu bin ich als Märchenerzählerin unterwegs, da ist mein Publikum der beste Stichwortgeber für meine Geschichten. Kreatives Schreiben und Improvisation sind tolle Übungen für besseres Storytelling:

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Meine Liebe zu Texten als Tuschezeichnung

Du hast noch einen Ausdruck zum Thema Storytelling, der hier nicht aufgelistet ist? Dann schreibe ihn doch hier in die Kommentare und ich ergänze ihn. – I write, you feel!

3 Kommentare zu „Storytelling Glossar: Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt“

  1. Liebe Manuela, wow, herzlichen Dank dafür. Ich freue mich sehr über die ausführliche Darstellung. Da nehme ich gleich den Punkt Storytelling aus meinem Glossar heraus. Der ist bei Dir viel besser aufgehoben. Herzliche Grüße, Birgit

  2. Liebe Manuela,
    ich finde dein Glossar sehr hilfreich, die Lemniskate kannte ich noch nicht. Danke auch für die Links zu den anderen Glossaren. Ich komme sicher noch öfter bei deinem Blog vorbei, du hast ähnliche Themen und ich freue mich auf den Austausch. Herzliche Grüße!

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